Peter Maffay war in Großwenkheim

In den sechziger, siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts war der Saalbau Trost in Großwenkheim ein beliebter Treffpunkt für Tanzfreudige aus dem nördlichen Unterfranken. Verschiedene Gastsänger aus der Schlagerbranche, noch im Anfangsstadium einer erhofften großen Karriere, traten hier auf. Ein später berühmt gewordener Rockstar feierte in Großwenkheim den Übergang in die Volljährigkeit.

 

Für den 29. August 1970 hatten Rudi und Loni Trost, die Besitzer des Tanzlokals, Peter Maffay als Gastsänger verpflichtet. Peter Maffay, halbbekannt durch sein Lied „Du“, das im Dezember 1969 erschienen war. Was will oder kann der außerdem noch bieten? Kann der überhaupt richtig singen? Diese Fragen stellte sich auch der Schreiber dieser Zeilen. Einige Jahre saß ich bei nahezu jeder Tanzveranstaltung an der Kasse. Ein paar Mark zusätzlich konnte man als Student gut gebrauchen. Nach der Pause, gegen 22.30 Uhr sollte der Gaststar auftreten. Es wurde schließlich etwa 23 Uhr. Er kam, Lederjacke, lange Haare, zusammengekniffene Augen, Markenzeichen Muttermal an der Oberlippe, schmächtig, knapp 170 Zentimeter groß oder klein. Starker Beifall im prallvollen Saalbau. Dann sang er ein paar unbekannte Lieder, wohl auch zum Aufwärmen. „Der kann ja wirklich gut singen“, dachte ich erstaunt. Im Hinterkopf hatte ich eine schlechte Erfahrung vom Besuch der Hitparade mit Dieter Thomas Heck in den altehrwürdigen Huttensälen in Würzburg. Eine Katastrophe und eigentlich sollte auf der Plattenhülle der Name des Tontechníkers stehen, nicht der des Sängers oder der Sängerin. Aber Peter Maffay. Respekt! Gegen Mitternacht endlich das bekannte „Du“ und nicht nur zahlreiche weibliche Besucher sah ich geradezu hinschmelzen. Das Lied hat ja auch seinen irgendwie spezifischen Schmalz, geriet aber nie in Vergessenheit. Frenetischer Beifall. Maffay dankte mit seinem eher spröden Lächeln. Dann noch eins, zwei Lieder und der Rückzug von der Bühne. Niemand war in Ohnmacht gefallen trotz der hohen Temperaturen und Luftfeuchtigkeit. Kurz nach ein Uhr war dann Schluss mit der Musik. Wir befinden uns im Jahre 1970! In der Bar herrschte bei gedämpfter Beleuchtung noch Vollbetrieb. Auch Peter Maffay und sein Manager saßen an der Theke und feierten. Der Grund: Der Du-Sänger war vor wenigen Minuten 21 Jahre und damit volljährig geworden. Das war vor 40 Jahren noch so. Und Peter Maffay ließ es richtig krachen. Freigetränke für alle. Anfangs wechselte auch ich bei einem Glas Sekt einige nette Worte auf Augenhöhe mit ihm. Ein gleichaltriger, umgänglicher, sympathischer Typ, ohne Starallüren, aber auch wenig Ausstrahlung. Was nach zwei Uhr in der Bar noch abging, wissen hauptsächlich noch Loni Trost und Renate Marschall, die für den Getränkenachschub an der Theke sorgten. Loni Trost kann sich nur noch schemenhaft an diese Nacht erinnern. „Wir hatten zu oft und zu viele Kapellen, jedes Wochenende, da weiß ich keine Einzelheiten mehr“, sagt sie heute. Sie hat auch „alles ausgesucht“, aber kein Bild von diesem Abend gefunden. Wer hat vor 40 Jahren auch schon eine Kamera mit zum Tanzen genommen? Wer hat daran gedacht, dass aus dem unscheinbaren Peter Maffay einmal einer der bekanntesten Deutschrocker werden würde? Handy oder Fotohandy gab`s nicht einmal im Traum. „Beste“ Erinnerungen aber Renate Marschall, damals 36 Jahre jung. Um vier Uhr machte Loni Trost auch die Bar dicht. Übrig geblieben waren Peter Maffay und sein Begleiter, die einige Stunden für eine Riesengaudi gesorgt hatten. Aber wo sollten sie jetzt schlafen? An Autofahren war angesichts des deutlich erhöhten Alkoholspiegels nicht zu denken. Renate Marschall zeigte auf Bitten der Chefin Erbarmen und Mitleid. „Ich geh mit dir heim, egal wo wir schlafen“, sagte Maffay in etwas unkontrollierter Aussprache. „Einer links, der andere rechts eingehenkelt gingen wir im Schlepptau die etwa 400 Meter bis zu meiner Wohnung“, erinnert sich Marschall , auch wenn sie vom Alkohol- und Zigarettengestank, Schweißgeruch und ungepflegtem Äußeren ihrer unerwarteten Gäste nicht gerade begeistert war. Renate Marschall beschreibt auch heute noch das Aussehen sehr drastisch. Außerdem war das Abschleppen von Maffay und Co einigermaßen riskant. Zu Hause schlief ihr Ehemann Fred und am frühen Morgen wollten sie nach Wiesbaden fahren, um die beiden Töchter bei den Großeltern abzuholen. „Da habe ich den Beiden erst mal eine richtige Predigt gehalten“, so Marschall. „Ihr bleibt im Bett. Wir fahren zwischen sieben und acht Uhr weg. Es gibt kein Frühstück und der Schlüssel wird hinterlegt!“ „Die haben gar nicht zugehört, nur gelacht und sind mit Sack und Pack in die Betten im Kinderzimmer gefallen.“ Und der Ehemann? „Der hat nicht viel mitbekommen. Das Meiste habe ich ihm erst auf der Fahrt erzählt.“ Mit einigem Bammel betraten die Marschalls am nächsten Abend ihre Wohnung. Peter Maffay und sein Begleiter waren verschwunden. Wann, weiß keiner. Die Betten waren zwar nicht gemacht und die sonderbaren Gerüche noch nicht verzogen, aber ansonsten keine Unordnung oder Zustände und der Schlüssel am vorgegebenen Platz. „Da waren wir baff erstaunt“, erzählt Marschall, die über ihren damaligen Mut heute beim Erzählen geradezu ins Schwärmen gerät. Das Bett, in dem Peter Maffay seine Promille wieder abbaute, hatte sofort Kultstatus. War es schon bei ihren Kindern begehrt, so wollen heute auch die Enkel, denen die Großmutter die Story natürlich erzählt hat, auch darin nächtigen, wie erst Ende Juli Enkel Martin aus der Schweiz.


Foto: Berühmter Übernachtungsgast: Renate Marschall beherbergte Peter Maffay nach einem Konzert in Großwenkheim in ihrem Haus. Der Sänger, der nach dem Auftritt feuchtfröhlich seinen 21. Geburtstag gefeiert hatte, schlief in diesem Kinderbett.