Erinnerungen an die Vertreibung beim Seniorennachmittag

Beim traditionallen Seniorennachmittag konnte Schützenmeister Wilfried König vom gastgebenden Verein „Hubertus“ rund 80 Gäste im Schützenhaus begrüßen. Einige der eingeladenen Einwohnerinnen und Einwohner über 65 Jahre mussten wegen der winterlichen Bedingungen absagen. In den gemeinsamen Stunden wurden wieder viele Gedanken über Gott und die Welt ausgetauscht. Im Mittelpunkt standen die Erinnerungen von Erika Gehring, die vor wenigen Tagen 75 Jahre alt wurde. „Weil es leichter ist, habe ich in Grössewehmer Dialekt erzählt“, sagte sie.

Vor genau 70 Jahren kam sie wie rund 100 andere Personen nach dem Zweiten Weltkrieg als Heimatvertriebene aus dem Sudetenland nach Großwenkheim. Die erste Hälfte der Flüchtlinge, wie sie von der Bevölkerung genannt wurden, kam im April 1946, die andere im Herbst. Erika Gehring, geborene Behmel, kam im Alter von fünf Jahren mit ihren Eltern und Großeltern. Ihr Flüchtlingsausweis datierte auf den 17. April 1946. Mit einem LKW wurden die Heimatvertriebenen nach Großwenkheim gebracht und vom damaligen Bürgermeister Otto Müller verschiedenen Familien zugewiesen. „Keiner hat sich um uns gerissen“, sagte Gehring. Mit Vorbehalt seien sie aufgenommen worden, man habe sich gegenseitig beschnuppert und ausgetestet. Vor allem bei den älteren Menschen sei die Erinnerung an die alte Heimat geblieben. Die Leute hier hätten gar nicht so richtig registriert, was bei der Vertreibung aus der Heimat wirklich passiert ist. „Wir sind als Heimatvertriebene gekommen, nicht als Flüchtlinge“, betonte Gehring. Mit der Zeit hätten sie sich in die Dorfgemeinschaft integriert. Es wurden Ehen geschlossen, aus denen die nächste Generation hervorging, Faschingstanz erganisiert und einige gehörten jahrelang zu den Leistungsträgern der Fußballmannschaft des FC.  Allerdings sei die damalige Situation mit der heutigen Flüchtlingsdebatte nicht vergleichbar. Garniert wurden die Erzählungen mit zahlreichen alten und neuen Bildern, die zu vielen Diskussionen und Überlegungen führten. Nur noch die ältere Generation in Großwenkheim kann sich an die zahlreichen Heimatvertriebenen erinnern. Verschiedene Namen gibt es schon nicht mehr. „Heute wohnen in Großwenkheim noch zwei Originale“, sagte Gehring. Sie selbst und Otto Klein, der bei der Vertreibung noch im Kinderwagen lag, wurden im Sudentenland geboren und leben heute noch in Großwenkheim, ebenso teilweise die folgenden Generationen. Einige seien inzwischen gestorben, andere vor vielen Jahren weggezogen oder haben in andere Orte geheiratet.

Sudetenbilder
Regelmäßig trafen sich Heimatvertriebene aus verschiedenen Dörfern in der „Schwarzen Pfütze“ bei Rottershausen
zum Gedankenaustausch. In der vorderen Reihe ist Erika Gehring (stehend, mit weißer Bluse)
im Alter von etwa 14 Jahren zu sehen.

Sudetenbilder

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Aktualisiert (Donnerstag, den 04. Februar 2016 um 13:32 Uhr)